Überstunden gegen die Wikinger

Mit einem 4:2-Arbeitssieg gegen die schwedische Mannschaft SK Team Viking haben unsere Eurofighter in die Erfolgsspur zurückgefunden und ihre Chancen auf eine Top-Ten-Platzierung in Bilbao bewahrt. Dabei kamen die beiden entscheidenden Siege auf gänzlich unterschiedliche Weise zustande. Während Mads Andersen seinen Status als Topscorer in nur 22 Zügen bewahrte und jetzt bei 4½/5 notiert, brauchte Erwin L’Ami etwas gegnerische Mithilfe, um seinen ersten vollen Zähler in diesem Turnier bereits nach »nur« 97 Zügen und etwas über fünf Stunden verzeichnen zu können.

Nach der gestrigen unglücklichen Niederlage schien das Team Viking ein durchaus dankbarer Kontrahent zu sein, da sie nominell unser bisher zweitschwächster Gegner waren. Der Kampf begann auch optimal, denn Mads Andersen konnte frühzeitig gegen den Leningrader Holländer von FM Anders Petersson (2271) eine Gewinnstellung erreichen und erzielte nach nicht einmal zwei Stunden die Führung. Leider wird eine letzte GM-Norm von Mads vermutlich an einer nicht ausreichenden Zahl an GM-Gegnern scheitern, obwohl er sich mit seiner bisherigen Performance eindeutig auf Normkurs befindet.

Doch in der Folge zeigte sich, dass die schwedischen Wikinger keineswegs bereit waren, den Kampf ohne großen Widerstand abzugeben. So erreichte Alexander Naumann als Schwarzer in einem Najdorf-Sizilianer gegen das Sozin-System von FM Rauan Sagit (2358) leichte Vorteile dank seines Läuferpaares, doch der Schwede verteidigte sich zäh und wurde kurz nach der Zeitkontrolle mit einem halben Zähler belohnt.  Auch Jörg Wegerle versuchte mit dem bei ihm äußerst ungewöhnlichen Kalaschnikov-Sizilianer bereits frühzeitig, gegen Eric Vaarala (2244) eine komplizierte und zweischneidige Stellung zu kreieren. Doch auch hier hielt der Weiße die Stellung im Gleichgewicht und erreichte schließlich in einem Turmendspiel mit jeweils zwei Bauern die Punkteteilung.

Markus Ragger hatte gegen den routinierten GM Evgenij Agrest (2579) ein Abspiel der Damengambit-Abtauschvariante gewählt, das dieser bereits mit beiden Farben gespielt hatte. Diese Erfahrung machte sich später bemerkbar: Der Schwede unterband den von Markus angestrebten e4-Zentrumsdurchbruch und war mit seinem Gegenspiel am Damenflügel deutlich schneller, so dass Markus frühzeitig den Rückwärtsgang einlegen musste und froh war, ein absolut ausgeglichenes Endspiel erreicht zu haben, so dass nach der hier in Bilbao geltenden Remis-Marke von 40 Zügen der Punkt geteilt wurde.

Währenddessen hatte Sandipan Chanda mit ganz anderen Problemen zu kämpfen: In der Zeitnotphase fiel seine Brille vom Tisch und er konnte sie nicht sofort wiederfinden, wobei eine längere Suche sich wegen seiner Zeitnot verbat. Sein Brettnachbar Erwin L’Ami hatte sie dagegen erblickt, konnte sich aber nicht darum kümmern, da er selbst bei akuter Zeitknappheit verkehrte und jegliche Kommunikation zwischen den Spielern nicht gestattet ist. Glück im Unglück: Die Brille blieb trotz diverser unter dem Tisch befindlicher Füße unversehrt!

Mit den Ereignissen am Brett war Sandipan dagegen weniger zufrieden. Aus einer Nebenvariante des von FM Jonathan Westerberg (2414) gewählten angenommenen Damengambits entstand schließlich eine der semislawischen Meraner Variante ähnelnde Struktur mit weißen Vorteilen. Doch unser indischer Spieler agierte im frühen Mittelspiel zu ungenau, so dass Westerberg unter Verwendung kleiner taktischer Abwicklungen einen Bauern gewinnen konnte. Zwar hatte er dafür ein Endspiel zu verteidigen, in dem sein Turm und sein Springer äußerst passiv platziert waren, doch es reichte, um die Partie im Gleichgewicht zu halten, selbst wenn Sandipan wirklich alles – einschließlich einer Unterverwandlung in einen Springer – versuchte.

Somit stand es 3:2, was Teamchef Herbert Scheidt allerdings erst mit deutlicher Verspätung erfuhr, da unsere Mannschaft heute am für Zuschauer überhaupt nicht einsehbaren 9. Tisch spielte. Wohl selten hat es eine derartig zuschauerunfreundliche Veranstaltung gegeben. Auch für die Spieler sind die Bedingungen kaum besser: Bisher wurden sie nach dem Ende ihrer Partien sofort aufgefordert, den Spielbereich zu verlassen (in den sie danach als Zuschauer auch keinen Zugang mehr haben). Inzwischen wurde die Regel etwas gemildert, so dass ihnen zumindest erlaubt ist, während ihres noch laufenden Kampfes im Spielerbereich zu blieben. Allerdings dürfen sie nicht mehr auf dem Stuhl an ihrem Brett Platz nehmen und von etwas rigoroseren Schiedsrichtern werden sie sogar daran gehindert, bei den Partien ihrer Teamkollegen zu kiebitzen.

Wenigstens durften unsere Spieler heute die letzte Partie von Erwin L’Ami begutachten, mussten dafür aber viel Geduld mitbringen. Erwin hatte gegen den Trompowsky-Angriff von FM Bo Lindberg (2403) schnell eine komfortable Position erhalten und kurz vor der Zeitkontrolle sogar einen Bauern gewinnen können. Allerdings gab es im entstandenen Turm + Läuferendspiel auch aufgrund von Erwins Doppelbauer keine wirklichen Durchbruchsmöglichkeiten, und es entstand eine extrem lange Phase des Lavierens, bevor es nach 67 Zügen zu mehreren Abtäuschen und schließlich zu einem Läuferendspiel mit jeweils zwei Bauern kam, in dem Erwin dank seiner aktiveren Figuren minimal besser stand. In der Folge verbesserte unser holländischer Edel-Techniker sukzessive seine Stellung und konnte nach weiteren 30 Zügen bei beiderseitig jeweils nur noch knapper Restbedenkzeit, die nur wenig über den pro Zug hinzukommenden 30 Sekunden Inkrement lag, beide weißen Bauern gewinnen. Hiernach brach Lindberg endgültig ein und erlaubte den Abtausch der Läufer, so dass Erwin nicht mehr den Gewinn im auch nicht völlig trivialen Endspiel mit Läufer und Bauer gegen Läufer demonstrieren musste.

Dieser Sieg sicherte nicht nur das 4:2, sondern war gleichzeitig der erste Sieg von Erwin in diesem Turnier überhaupt. Er wollte es im Nachhinein aber nicht überbewerten, dass ihm dieser ausgerechnet an dem Tag gelungen war, als er sein Trikot vergessen hatte … Somit dürften wir Erwin vermutlich morgen wieder im Mannschafts-Outfit sehen, wenn es gegen den SK Hohenems geht. Dies ist vor allem für Alexander Naumann ein ganz besonderes Match, da er 12 Jahre für Hohenems gespielt hat, bevor er in diesem Sommer zum Verein von Markus Ragger nach Maria Saal wechselte.

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