Knapper Sieg gegen den HSK

schachbundesliga.deIm Sonntagskampf ging es dann gut gestärkt gegen Hamburg, was traditionell einen knappen Kampfverlauf versprechen sollte, so auch diesmal. Weiter sollte sich zeigen, daß die Sonntagsrunden viel mehr Material für die Sparte »Die Gurken des Wochenedes« produzieren. Offensichtlich ist der Rundenbeginn für die meisten Jünger unseres Spiels immer noch wesentlich zu früh.

Als erste Partie endete die Weißpartie Alexander Naumanns gegen Karsten Müller (2517) untentschieden. Der Führer der schwarzen Streitmacht zog in einem Maroczy-Sizilianer 9… Le6 dem gängigeren sofortigen Manöver Sd7-c5 vor. Die Schlußstellung für Weiß gefällt mir nach der möglichen Folge 15… Sc5 16. ef5: Lf5: 17. Sf5: Tf5: zwar etwas besser für Weiß, aber angesichts der Tatsache, daß Alex der – allerdings umstrittenen – russischen Regel folgte, nach einer Verlustpartie lieber nichts anbrennen zu lassen und Karsten kein leichter Gegner ist, konnten wir mit dem Ergebnis durchaus leben.

Keine allzu große Spannung kam auch in der Weißpartie Artur Jussupows gegen Robert Kempinski (2595) auf. In einer Slawischstellung wählte Artur mit dem interessanten Manöver 9. Dc2 und 10. Se2 eine prophylaktische Aufstellung gegen den zu erwartenden schwarzen Hebel e5. Wie sich später herausstellte, ist diese Idee bereits bekannt aus einer Gewinnpartie Huzmans gegen Kasparov aus dem Jahre 2003.

Meines Erachtens bestand die einzige Chance für Weiß, einen kleinen strukturellen Vorteil festzuhalten, darin, mit 16. f3 Lh5 17. Tc1 bzw. 16… Ld7 17. Kf2 den Abtausch des weißen Springers zu vermeiden (ideale Blockadefigur des Isolani). In der Schlußstellung kompensiert der Besitz der c-Linie den Isolani vollauf – Remis.

In Predrag Nikolics Schwarzpartie gegen unseren ehemaligen Mitstreiter David Baramidze konnten die Kiebitze einen weiteren Saitzew-Spanier bewundern. Mit 14. Lc2 wählte der Weiße eine wenig aggressive Aufstellung, die Predrag bereits in früheren Bundesliga-Partien u.a. gegen Adams keine Schwierigkeiten zu bereiten vermocht hatte. Auch hier konnte Predrag problemlos ausgleichen und die Partie nach 23 Zügen remis geben.

Zu meinem Leidwesen erwischte ich in meiner Schwarzpartie gegen den jungen Hamburger Niclas Huschenbeth einen rabenschwarzen Tag, der von mehreren Fehlentscheidungen geprägt war. Mit 12. Kh1 wich Weiß zunächst von einer eigenen Partie in einem Paulsen-Sizilianer ab (statt a4). Da der Zug nichts Konstruktives leistet, sah ich mich zu dem nachlässigen 12… Dc7 veranlaßt, statt des sicheren und guten 12… Sgf6 13. Lh6 Dc7 14. Tad1 d5 mit vollwertigem Spiel.

Nach 15. Se5 ergaben sich in der Partie erste kleinere taktische Probleme wegen der fehlenden Entwicklung. Das zunächst geplante 15… Lb7 führt nach 16. Sd7: Dd7: 17. Le3 Dc7 18. Ld4 Sf6 19. Tae1 zu einer ungenehmen Situation. Nicht schlecht gestaunt habe ich, als mir mein Gegner nach der Partie erzählt, er habe 16. Te1 geplant… Nach dieser Entdeckung machte sich bei mir eine gewisse Kopflosigkeit breit. Spielbar war z.B. 15… Sgf6 16. La6: 0-0 17. Ld3 Ld6 18. c4 Lb7 mit nicht ganz ausreichender Kompensation für den Bauern, aber praktischen Chancen in einer vollen Partie. Nach 16. a4 hätte ba4: 17. Ta4: Sgf6 18. Lc4 0-0 gegen einen menschlichen Gegner immer noch einige Kompensation versprochen.

Auch nach 17. La6: war es noch nicht zu spät, mit Sgf6 18. Lc4 0-0,allerdings schon unter etwas schlechteren Bedingungen,in der Partie zu bleiben, wenngleich Weiß nach 19. Sd4 schon einigen Vorteil haben sollte. Nach 18. fe5: mußte ich dann leider feststellen, daß das geplante Ta6: 19. Da6: Dc2: 20. Db5+ Kf8 21. Sd2 wegen der fehlenden Mitwirkung des Th8 einfach nicht ausreicht. Dennoch war dies vielleicht die letzte praktische Chance, da das Endspiel in der Partie sich als noch viel schlechter erwies als von mir in der Vorausberechnung eingeschätzt. Nach dem kräftigen Zug 23. c3! war die schwarze Stellung praktisch schon aufgabereif, aber wie heißt es so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt, besonders in Mannschaftskämpfen…

Etwa zeitgleich zu meiner Aufgabe kippte dann tatsächlich Rainer Buhmanns Schwarzpartie gegen Lubomir Ftacnik (2571). In einem Chebanenko-Slawen war Rainer in der Eröffnung mit 11… cd5: vielleicht zunächst etwas zu sehr auf Symmetrie bedacht. Nach 14. Se1 statt Lc7 dürfte Weiß in der Partie sehr bequem stehen. Auch nach der Partiefortsetzung plänkelte die Partie zunächst längere Zeit mit zumindest leichtem Vorteil für Weiß dahin.

Schließlich trifft Rainer mit 29… g5!? eine mutige, aber unter mannschaftstaktischen Gesichtspunkten goldrichtige Entscheidung, in immer noch schlechterer Stellung »auf Chance« zu spielen. Die kritische Stellung entstand nach 35… Se5:. Nach der richtigen Antwort 36. Le2 behält Weiß einigen Vorteil. Nach dem zu gierigen Partiezug dagegen gerät er überraschend in einen nicht mehr abzuwehrenden Mattangriff von Dame und Springer.

Damit war zur Zeitkontrolle klar, daß wir zumindest einen Punkt mitnehmen würden: Romain Edouard hatte nach zwischenzeitlich klarem Vorteil eine Remisstellung auf dem Brett, während Sipke Ernst klar auf Gewinn stand und Markus Ragger ein schlechteres Turmendspiel mit Minusbauern zu verwalten hatte.

Aber der Reihe nach: Als nächste Partie endete die von Romain gegen Dirk Sebastian (2432) erwartungsgemäß remis. Romain wählte gegen die Pirc-Vertidigung des Schwarzen eine sehr solide Aufstellung mit c3 und Ld3. Nach 15 Zügen erreichte er bereits ein vorteilhaftes Endspiel mit besserer Bauernstruktur. Im weiteres Verlauf gelang es ihm, durch geschicktes Lavieren einen der beiden c-Bauern zu erobern. Mit 23. f3 statt Te1 läßt sich vielleicht das weiße Spiel noch verbessern, da so der schwarze Springer nicht so leicht ins Spiel kommt. Der Knackpunkt ist wohl die unvorteilhafte Entscheidung, mit 33. Sd5 den Bauern b2 abzugeben, ohne dabei die Türme zu tauschen. Besser wäre hier entweder 33. Sa6, was den Turmtausch erzwingt oder ein neutraler Zug wie 33. Kf2, wonach Weiß jeweils klaren Vorteil festhält. Nach der Partiefortsetzung wird die Verwertung des Mehrbauern plötzlich sehr schwierig wegen derAktivität des Schwarzen in Kombination mit seinem Läuferpaar. Als wenig später auch noch der weiße c-Bauer fällt, bleibt vom weißen Vorteil nichts mehr übrig- Remis!

Markus diskutierte als Schwarzer mit Thies Heinemann (2490) in einem Abtausch-Spanier mit 5… Le6 eine seltene Variante, die er aber zuvor schon zwei mal gespielt hatte. Nach der Eröffnung gefällt mir 12… Ld6 nicht besonders, aber vielleicht war Markus sofortiger Ausgleich nach 12… e5 13. De2 e4 nicht recht oder nicht bewußt?! Später verpaßt Schwarz meines Erachtens mit 18… De4: 19. de4: Se2+ 20. Kh1 Td8 eine gute Möglichkeit, durch Beherrschen der d-Linie zumindest nicht schlechter zu stehen. Dem ungewöhnlich stehenden Se2 ist dabei nichts anzuhaben.

Das in der Partie später entstehende Doppelturmendspiel ist wegen der Passivität des Schwarzen und seines Doppelbauern zumindest noch sehr unangenehm zu verteidigen. Tatsächlich hatte Weiß kurz vor der Zeitkontrolle die Möglichkeit, die Partie durch Abwicklung ins Bauernendspiel zu seinen Gunsten zu entscheiden. Man sehe: Nach 39. Te7: Te7: 40. Te7: Te7: 41. d5 Kd6 42. dc6: Kc6: 43. h3 ist für Weiß glatt gewonnen!

Im Turmendspiel nach der Zeitkontrolle legt Markus dann äußerste Zähigkeit an den Tag, so daß selbst Predrag mit seiner Endspielführung sehr einverstanden ist! Gerade die zerstückelte Bauernstruktur am Damenflügel ermöglicht es dem Schwarzen, durch den gut getimetenKonter c5die Partie zu halten.

Sipke diskutierte mit einem weiteren Ex-Solinger, Oliver Reeh (2429), eine seltene Variante im 4. Dc2-Nimzoinder, in der der Schwarze sich mit De8, Sfd7 und e5 aufbaut. Mit 10. de5: improvisiert Sipke gegenüber Vorgängerpartien mit 10. d5; ein plausibler Ansatz, um so den weißen Läufern in einer halboffenen Stellung Raum zu verschaffen. Schließlich verliert der Schwarze mit 20… Te3: die Nerven, statt mit 20…. Sce5 21. cd6: cd6: 22. Dc7 Tc8 weiter in einer völlig unklaren Partie zu verbleiben. Wenig später hätte Weiß m. E. mit 22. Dc3! Dc3:+ 23. Kc3: Tf4: 24. cd6: cd6: 25. Td6: alles klar machen können. In der Partie dagegen wäre der Ausgang nach dem besseren 29… Sc6 30. Dh4 Tf8 statt des sofortigen Tf8 wieder völlig offen gewesen. Mit 30… Sab3:!?? spielt Schwarz in schlechterer Stellung wiederum seinerseits auf praktische (Zeitnot-)Chancen, aber mit einem glatten Minusturm hätte schon einiges passieren müssen…

Mit wenig Zeit und guten Nerven bringt Sipke schließlich mit dem Manöver 50. Se4-c3 endgültig alles unter Kontrolle und sichert den knappen 4½:3½-Mannschaftssieg.

Wer hätte vor der Saison gedacht, daß wir vier Runden vor Schluß ernsthafte Chancen auf einen Medaillenplatz hinter der übermächtigen Mannschaft aus Baden-Baden haben würden?

Grüße an alle Leser und bis bald

Michael Hoffmann