Ganz bittere Niederlage gegen Kazan

Bilbao-2014-03
Vor der Begegnung mit Ladya
Im Vordergrund Gata Kamsky und Markus Ragger

Am schwersten sind in der Regel die Niederlagen zu verkraften, bei denen man weder eine konkrete Ursache ermitteln noch sich selbst große Vorwürfe machen kann. Ein derartiges Match erlebte unser Europacup-Team heute im Duell mit der russischen Mannschaft von Ladya Kasan. Lange Zeit sah es nach einem knappen Sieg aus, dann schien ein Unentschieden das wahrscheinlichste Resultat und nach fünf Stunden war schließlich dem Trend folgend eine 2½:3½-Niederlage zu verkraften, nachdem der ehemalige Vize-Weltmeister Gata Kamsky eine äußerst komplizierte, aus der spanischen Berliner Verteidigung stammende, Partie gegen Markus Ragger gewonnen hatte.

Nominell waren wir gegen das russischen Team, dessen Damen-Team in Bilbao aktuell auf dem zweiten Tabellenplatz liegt, leicht favorisiert. Allerdings hatte der amerikanische GM Ildar Ibragimov, der inzwischen wieder in seiner alten Heimat Kazan lebt und als Coach arbeitet, drei junge FM ins Team berufen, die wie für russische Talente typisch sicherlich klar unterbewertet sind.

Dennoch rechneten wir uns nach der starken ersten Turnierhälfte gute Aussichten aus, was durch den Verlauf der ersten Stunden absolut bestätigt wurde. Unser GM-Aspirant »Mighty Mads« Andersen spielte mit Schwarz in einem zweischneidigen Rubinstein-Franzosen auf Gewinn, doch FM Ramil Sadykov (2351) zeigte sich taktisch voll auf der Höhe und opferte eine Figur für Angriff gegen den unrochierten schwarzen König. Nach einem hübschen Schlagabtausch endete die Partie schließlich leistungsgerecht Remis durch Dauerschach.  Dafür schienen insbesondere Alexander Naumann und Erwin L’Ami in ihren Weiß-Partien über exzellente Aussichten zu verfügen.

Erwin L’Ami überraschte GM Artyom Timofeev (2598) mit dem technischen 7. dxc5 gegen dessen angenommenes Damengambit und übte im damenlosen Mittelspiel sehr unangenehmen Druck aus, so dass der Russe bald einen Zeitnachteil von fast einer Stunde auf der Uhr besaß. Dies hielt ihn allerdings nicht davon ab, die absolut stärksten Verteidigungszüge zu finden, so dass die Partie schließlich in einem totremisen ungleichfarbigen Läuferendspiel landete. Keine großen Wellen schlug die Partie von Jörg Wegerle gegen FM Ramil Faizrakhmanov (2344). Jörg präferierte heute einen Reti-Aufbau, gegen den sich der junge Russe mit einer damenindischen Struktur solide aufbaute. Letztlich wurde das Stellungsgleichgewicht niemals ernsthaft gestört und in einem Bauernendspiel kurz nach der Zeitkontrolle Frieden geschlossen.

Einen ähnlich ausgeglichenen Spielverlauf gab es in der Schwarz-Partie von Sandipan Chanda gegen GM Ildar Ibragimov (2544). In einem orthodoxen Damengambit mit 5. Lf4 konnte Sandipan mit Schwarz schnell ausgleichen und die Partie verlief bis zum abschließenden Turmendspiel ausgeglichen und endete in der fünften Spielstunde Remis. Unsere Hoffnungen lagen den gesamten Kampf über auf der Partie von Alexander Naumann, der gegen die Tschechische Benoni-Verteidigung von FM Rail Makhmutov (2410) eine optisch derart überlegene Position herausgespielt hatte, das bei oberflächlicher Betrachtung die Vollendung seines Angriffs gegen den geschwächten schwarzen König nur noch eine Frage der Zeit schien. Doch sein junger Gegner verteidigte sich umsichtig und zäh, so dass er spätestens wieder in der Partie war, als Alex kein Fortkommen seines Angriffs mehr sah, als seinem Kontrahenten ein defensives Qualitätsopfer zu erlauben, durch das Schwarz wieder Gegenspiel erhielt. Zwar konnte er kurz vor der Zeitkontrolle diese wieder zurückopfern, doch das dann entstandene Schwerfigurenendspiel bot letztlich keine Gewinnchancen mehr, so dass sich Alex nach einer Zugwiederholung frustriert ins Remis fügen musste.

Die Begegnung am Spitzenbrett entwickelte sich schließlich passend zum übrigen Kampfverlauf. Markus Ragger hatte mit Schwarz gegen den spanischen Aufschlag von GM Gata Kamsky (2681) seine Berliner Mauer vom Vortag wiederholt und erhielt in den höchst komplexen Mittelspiel-Strukuturen exzellentes Spiel, so dass bei der abendlichen Kollektiv-Analyse zumindest Einigkeit darüber herrschte, dass höchstens Schwarz im Mittelspiel besser gestanden haben könnte. Bei knapper werdender Bedenkzeit geriet Markus jedoch ein wenig vom optimalen Weg ab und wurde zusätzlich dadurch irritiert, dass die Uhr (ein Modell, das niemand von uns jemals zuvor bei einem Turnier gesehen hat), 0.31 anzeigte. Markus konnte nicht glauben, dass er nur noch 31 Sekunden hatte, machte aber zur Sicherheit noch einen schnelleren Kontrollzug, obwohl die Uhr vermutlich bereits beim 39. Zug die zusätzlichen 30 Minuten hinzugefügt hatte.

Letztlich ließ Markus im weiteren Verlauf zwei klare Remiswege aus und landete schließlich in einem Endspiel, das gegen einen so starken Techniker wie Kamsky nicht mehr zu verteidigen war, so dass nach knapp 5 Stunden die unter Berücksichtigung des Kampfverlaufs sehr bittere 2½:3½-Niederlage feststand.

Die kollektive Enttäuschung konnte dann aber am Abend weitestgehend vertrieben werden. Zunächst erschien es zu späterer Stunde fast unmöglich, noch einen Restaurant-Platz für die insgesamt 11 Personen umfassende Solinger Delegation zu finden. Grund hierfür war das parallele Champions League-Heimspiel von Athletico Bilbao gegen Shakhtjor Donezk, aufgrund dessen nahezu in der gesamten, fußball-verrückten Stadt nur Menschen in rot-weiß-gestreiften Athletico-Trikots zu sehen waren und alle Lokalitäten bestens gefüllt waren. Letztlich wurde uns bei einem guten Italiener (der fast ausschließlich mit Schachspielern gefüllt war), ein Tisch im »Keller« nach 15-minütiger Wartezeit angeboten. Etwas zweifelnd und mangels Alternativen gingen wir auf das Angebot ein und wurden mit einem exzellenten Essen in einem wunderschönen Saal belohnt, den wir ganz für uns alleine hatten.

Nachdem in mehrstündiger Analyse festgestellt wurde, dass Alex nichts Konkretes ausgelassen hatte und Markus lange Zeit eine absolut hervorragende Partie gegen Kamsky gespielt hatte, kehrte der Optimismus auf eine starke zweite Turnierhälfte zurück. Dafür stärkten sich viele der Spieler mit einer ganz speziellen Pizza mit 7 (!!) Käsesorten, so dass wir schließlich mit deutlich besserer Laune als viele vom 0:0 ihrer Mannschaft enttäuschten Athletico-Fans den Rückweg ins Hotel bestritten.

Die Aufholjagd startet morgen gegen die schwedische Mannschaft von SK Team Viking.

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