Routiniers als Matchwinner

Unser Teamchef Herbert Scheidt gehört seit über 30 Jahren zum Inventar der Schachbundesliga, so dass naturgemäß seine Spieler inzwischen meist deutlich jünger als er selbst sind. Umso mehr freut er sich, wenn seine beiden Altmeister im Team die Zähne zeigen. Am heutigen 10. Spieltag war es wieder einmal soweit:  Predrag Nikolic und Artur Jussupov sorgten mit toll herausgespielten Siegen für die Entscheidung gegen den SV Turm Emsdetten. Als dann nach über 7 Stunden Kampf unser Spitzenbrett Markus Ragger seine Gewinnbemühungen gegen Anish Giri (2722) einstellen musste, stand ein ungefährdeter 5:3-Erfolg ohne Niederlage gegen die Münsterländer fest.

Im Vorjahr hatten wir gegen Emsdetten einen schmerzhaften Punktverlust erlitten, der letztlich zum Sprung in die Medaillenplätze gefehlt hatte. So waren wir diesmal gleichermaßen gewarnt und motiviert, zumal die Mannschaft aus dem Münsterland eine bedeutend stärkere Aufstellung als vor Jahresfrist an die Bretter gebracht hatte und im Abstiegskampf auch jeden Punkt dringend gebrauchen konnten. Interessant war auch die Tatsache, dass insgesamt 7 Niederländer am Kampf beteiligt waren, es aber nicht zu einem Landesduell kam.

Die Begegnung begann mit einer unspektakulären Punkteteilung zwischen Jan Smeets und Mikeil Mchedlishvilli (2623), nachdem Jan gegen den Taimanov-Sizilianer nichts herausgeholt hatte und sich bereits nach 18 Zügen in die Zugwiederholung fügen musste. Ebenfalls keine großen Wellen schlug die Begegnung zwischen Ruud Janssen (2498) und Alexander Naumann, die aus einer ruhigen Reti-Struktur mit weißem Doppelfianchetto ebenfalls schnell zum Remis versandete.  Nach ca. zwei Stunden deutete sich bereits an, dass die einzigen beiden 50er im Team, Artur Jussupow und Predrag Nikolic, sehr vielversprechende Positionen aufwiesen. Natürlich hat der Rest des Teams riesiges Vertrauen in das immense Schachverständnis der beiden Routiniers, so dass in der Folge an den anderen Brettern konsequent Risiken vermieden wurden.

Daniel Stellwagen gelang es in einem komplexen h3-Königsinder mit Schwarz gegen Alexander Ipatov (2591) so viel Gegenspiel zu erzeugen, dass dieser bei beidseitig etwas unsicherer Königsstellung in den Friedensschluss einwilligte. Kurios die Paarung am achten Brett, wo sich mit Roeland Pruijssers (2475) und Michael Hoffmann  zwei Akteure gegenüber saßen, die in dieser Mannschaftssaison bereits schon einmal gegeneinander gespielt hatten, nämlich am Spitzenbrett der jeweiligen 2. Mannschaften in der Oberliga NRW. Damals hatte es in einem scharfen Najdorf-Sizilianer ein spannendes Remis gegeben. Das Ergebnis blieb diesmal mit vertauschten Farben das Gleiche, auch wenn es in einem Leningrad-Holländer diesmal etwas weniger aufregend zuging. Die vorerst letzte Punkteteilung gab es dann im Duell von Erwin L’Ami mit dem Schweden Nils Grandelius (2536). Erwin hatte gegen das aktuell sehr beliebte Ragosin-System im Damengambit eine seltene Variante gewählt, die ihm temporär einen Mehrbauern einbrachte, der jedoch gegen die schwarze Initiative nicht zu halten war, so dass es auch hier zu einem leistungsgerechten Remis kam.

In der vierten Spielstunde rechtfertigten dann unsere Routiniers das in sie gesetzte Vertrauen: Predrag Nikolic hatte gegen Jonny Hector (2575) die französische Winawer-Variante gewählt, was der gewohnt kreative Schwede mit der aggressiven Gambitvariante 4.a3 bekämpfte.  Predrag wich bereits früh mit dem ungewöhnlichen 6….Df6 von den Haupt-Theoriepfaden ab und erhielt eine sehr gut spielbare Stellung, in der er letztlich entscheidende Initiative gegen den in der Mitte feststeckenden weißen König entwickeln konnte, bevor er mit einem hübschen temporären Figurenopfer letztlich in ein gewonnenes Schwerfigurenendspiel abwickelte.

Den Siegtreffer erzielte dann Artur Jussupov, der gegen Daan Brandenburg (2522) aus seinem geliebten ruhigen Colle-Koltanowski-System letztlich in eine semislawische Struktur übergeleitet hatte. Dort setzte der Niederländer zu früh auf den Zentrumsvorstoß e5, bekam jedoch den temporär geopferten Bauern niemals wieder. Vielmehr neutralisierte Artur mit klarem Positionsschach die schwarze Initiative, gewann schließlich noch eine Qualität und wandelte den Materialvorteil souverän in einen vollen Zähler um. So war nach knapp 4½ Stunden die Entscheidung bereits gefallen, der Arbeitstag für den Mannschaftsführer sollte allerdings noch 3 weitere Stunden dauern!

Am Spitzenbrett hatte die große niederländische Hoffnung, Anish Giri (2722)  in einem komplexen Meraner Semislaven gegen Markus Ragger ein optimistisches Figurenopfer auf f7 angebracht, konnte jedoch die entsprechende Kompensation nicht völlig nachweisen. Markus konnte schließlich die verbundenen Freibauern am Damenflügel blockieren und auch im Endspiel abholen, wobei allerdings das nur noch sehr reduzierte Material von Turm, Springer und g-Bauer gegen Giris Turm, g- und f-Bauer übrig blieb. Diese Materialverteilung erreichte der österreichische Vorkämpfer im 53. Zug. Genau 60 Züge später waren nach einer erbitterten Verteidigungsschlacht der holländischen Nummer Eins nur noch der schwarze Springer auf dem Brett verblieben, so dass gegen 21.30 Uhr das Endergebnis von 5:3 feststand.

Mit dieser kompakten Mannschaftsleistung verteidigte unsere Mannschaft ihren 4. Tabellenplatz und sollte auch im morgigen Spitzenspiel gegen Werder Bremen nicht chancenlos sein.

 

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