Zweite verpasst Sensation in Porz

Michael Berg
Glanzpartie von Michael Berg

Dank einer herausragenden spielerischen Leistung aller Mannschaftsmitglieder stand unsere II. Mannschaft zum Auftakt der 2. Bundesliga West beim Star-Ensemble der SG Porz vor der großen Sensation. Gegen die mit 8 Großmeistern angetretenen Domstädter lag unsere Mannschaft nach überzeugend herausgespielten Siegen von Michael Berg und Jörg Wegerle sehr lange in Führung, bevor die Kölner nach sechs Stunden Spielzeit mit besserer Technik, Geschick und einem Quäntchen Glück zwei Turmendspiele an den letzten beiden Brettern noch zum Sieg verwerteten und den Kampf noch zum 5:3-Endstand drehten.

Bekanntlich verzichtet die SG Porz seit der Gründung des Schachbundesliga e.V. auf eine Teilnahme in der höchsten deutschen Liga und dominiert dafür die 2. Bundesliga West nach Belieben. Zum Auftakt dieser Saison traten die Gastgeber nahezu in Bestbesetzung an und waren damit neben der OSG Baden Baden und unserer I. Mannschaft das einzige Team in den ersten beiden Ligen, dass acht Großmeister an die Bretter brachte. Im Gegensatz dazu mussten wir mit Markus Schäfer (Familienfeier), Thomas Michalczak (Trainer bei der Jugend-Europameisterschaft) und Nikolaj Krieg (frischgebackener Vater von Zwillingen) auch noch drei Stammspieler ersetzen, so dass an den Brettern 3-8 ein durchschnittliches Elo-Defizit von über 300 Punkten kompensiert werden musste.

Trotzdem sah Edel-Kiebitz Bernd Schneider, der zusammen mit Gattin Diana den Besuch des Tags der offenen Tür im Kölner Luft- und Raumfahrtzentrum mit einer Stippvisite im Porzer Spiellokal verband, nach drei Stunden Spielzeit noch keinerlei Vorteile für das Dream Team der Liga und gab bei seiner Abreise augenzwinkernd ein 4:4 als Tipp ab. Natürlich hätte auch er sich nicht träumen lassen, dass der bei einer so großen Spielstärkedifferenz übliche Einbruch der schwächeren Mannschaft bei fortgeschrittener Spieldauer ausbleiben würde und das seine nicht ernst gemeinte Prognose nach über fünf Stunden Spielzeit weder unrealistisch war noch unverdient gewesen wäre.

Als erste Partie war das Spitzenbrett nach knapp vier Stunden beendet:  Florian Handke hatte in einer Katalanisch-Struktur gegen GM Loek van Wely (2633) unternehmungslustig zwei Bauern geopfert und dadurch den schwarzen König in der Brettmitte gehalten. Doch das langjährige Spitzenbrett der holländischen Nationalmannschaft verteidigte sich exakt und spielte seine Cleverness bei einem taktischen Remisangebot aus, während sich sein König trotz reduziertem Material sehr exponiert auf h5 und ohne direkte Rückzugsmöglichkeit befand. Doch ein klarer Weg zum erstrebten Mattangriff war in der sehr knappen verbliebenen Restbedenkzeit für Florian nicht zu finden, so dass er die Punkteteilung akzeptierte, um nicht in die Gefahr eines Endspiels mit Minusbauern zu geraten, falls der schwarze König doch entkommen würde.

In der Zeitnotphase sorgte dann GM Igor Khenkin (2596) kurzzeitig für die Kölner Führung. Er hatte gegen das angenommene Damengambit von Jan Hobusch frühzeitig die Damen getauscht und stets leichtes Druckspiel mit seinem Läuferpaar bewahrt. Doch Jan verteidigte sich mit einem sehr zentral postierten Springer sehr gut, bevor ihm in Zeitnot eine Finesse entging, durch die Khenkin eine Linie für seinen Turm öffnen konnte. Langfristig ging ein Bauer verloren und der routinierte GM münzte diesen Vorteil mit souveräner Technik um. Doch kurze Zeit später fiel bereits der Ausgleich durch Michael Berg, der eine Glanzpartie gegen GM Erik van den Doel (2565) spielte. Der erfahrene holländische Großmeister war bereits in vielen Spielzeiten der absolute Topscorer der Porzer und hatte im Vorjahr 9/9 erzielt.  Gegen Michael spielte er ein angenommenes Damengambit und rochierte in der 3. e4-Variante ein wenig provokativ lang. Doch diese Aktivität sollte sich nicht auszahlen – nach einer weiteren schwarzen Ungenauigkeit in der Eröffnung erreichte Michael eine vorteilhafte Position und ließ in der Folgezeit niemals einen Spielstärke-Unterschied erkennen. Nach einer blitzsauberen Positionspartie mit abschließendem Mattangriff blieb dem Holländer nur die Aufgabe.

Fast parallel entwickelten sich die Ereignisse am zweiten Brett, wo Jörg Wegerle mit Schwarz gegen den ehemaligen Vize-Weltmeister und Schach-Legende Jan Timman (2569) antreten musste. Nach einem sehr positionellen Rossolimo-Sizilianer ergriff Jörg zunächst am Damenflügel die Initiative und eroberte die a-Linie für seine Türme. Als Timman dort die Drohungen verteidigte, initiierte Jörg nun einen stark vorgetragenen Königsangriff am anderen Flügel, so dass Timman kurz nach der Zeitkontrolle die Uhr abstellte. Somit gab es nach der Zeitkontrolle das mehr als verblüffende Zwischenergebnis von 2½:1½ zu unseren Gunsten.

Zudem war die Lage an den anderen Brettern überall sehr unklar. Vermutlich war die Partie am 3.Brett letztlich vorentscheidend für das Match.  Dort hatte der frisch gebackene Internationale Meister Daniel Schlecht in einem Nimzo-Inder aus der Eröffnung heraus klaren Vorteil gegen GM Vladimir Baklan (2611) erlangt. Der erfahrene ukrainische Großmeister bot eine Zugwiederholung nebst Remisschluss an, doch Daniel gefiel seine Stellung bereits so gut, dass er diese Option ausschlug, einen Bauern gewann und im Königsangriff auf Gewinn spielte. Baklan mobilisierte nun alle Verteidigungsressourcen, verwickelte die Position maximal und konnte schließlich ein Turmendspiel mit Mehrqualität erreichen, für die Daniel jedoch zwei Bauern besaß. Hier spielte der Großmeister schließlich seine exzellente Technik aus, so dass sein Freibauer gefährlicher als Daniels Pendant war, was nach über fünf Stunden den Ausgleich für die Gastgeber bedeutete.

Damit verblieben noch die letzten drei Bretter, in der die Porzer jeweils das größte nominelle Übergewicht besaßen und auch in den Partien »am Drücker« waren. Doch unsere  Akteure wehrten sich großartig und Milon Gupta konnte mit Schwarz nach einer sehr umsichtigen Leistung schließlich alle Gewinnversuche von GM Christopher Lutz (2542) gegen seinen sehr soliden Skandinavier neutralisieren und das 3:3 erzielen. Am siebten Brett war unterdessen in der Partie von Thomas Lemanczyk gegen GM Arkadij Rotstein (2499) ein Turmendspiel mit ein gegen zwei Bauern entstanden, das man typischerweise bei oberflächlicher Betrachtung als totremis abschätzt. Diese Stellungsbewertung war auch hier absolut korrekt, was aber nicht die praktische Komponente berücksichtigt, dass der erfahrene GM natürlich noch alle Ressourcen ausschöpfte und diverse Tricks versuchte. Schließlich opferte Rotstein seinen Mehrbauern, um seinen Turm hinter seinen eigenen Freibauern bringen zu können und gleichzeitig Thomas′ König passiv zu stellen. Dieser hätte nun basierend auf einem hübschen Patttrick sofort das Remis forcieren können, doch bei knapper Bedenkzeit und nach fast sechs Stunden entging ihm diese Ressource, so dass sich letztlich die großmeisterliche Technik doch noch durchsetzte und Thomas für seine gute Vorstellung nicht belohnt wurde.

Ähnlich verlief es in der Begegnung zwischen dem holländischen Jungtalent GM Benjamin Bok (2586), der erst vor einigen Tagen zusammen mit Coach van Wely von der Junioren-WM zurückgekommen war, und Andreas Peschel. Andreas spielte ohne jeden Zweifel seine mit Abstand stärkste Partie in diesem Jahr und verteidigte sich mit Schwarz exzellent bis zu einem Turmendspiel mit jeweils vier Bauern, das dem Holländer dank eines Freibauern leichte Gewinnaussichten gab. Doch die technische Verwertung war so schwierig, dass Bok mehrfach seine Bedenkzeit bis auf wenige Restsekunden ausnutzen musste und nur noch von seinem 30-Sekunden-Inkrement-Bonus lebte. Als die Bedenkzeit schließlich beiderseits sehr knapp war, setzte sich dann auch hier wieder wie so häufig die bessere Technik und Routine durch, so dass schließlich ein gewonnenes Endspiel mit Turm und Bauer gegen Turm endstand, was wenig später den 5:3-Endstand zur Folge hatte.

Auch wenn wir damit letztlich wie erwartet ohne Punkte die Heimreise antreten mussten, kann jeder beteiligte Akteur sehr stolz auf seine Leistung sein, die dem Favoriten wirklich alles abverlangte. Wenn die Mannschaft dieses Niveau auch gegen die Konkurrenten im Abstiegskampf abrufen können wird, sollte der Klassenerhalt in diesem Jahr auch sportlich machbar sein.

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