Knappe Niederlage gegen den Meister

schachbundesliga.deObwohl Baden Baden zum ersten Bundesliga-Wochenende dieser Saison nicht in Bestbesetzung antrat, waren wir auch diesmal auf dem Papier klarer Außenseiter. Wie Sie dem folgenden Bericht entnehmen können, entwickelte sich ein enger Kampf, in dessen Verlauf ein Punktgewinn für Solingen durchaus nicht unverdient gewesen wäre.

Als erste Partie endete die Begegnung zwischen Peter Svidler (2741) und Jan Smeets (2642) am ersten Brett remis. Zur Überraschung vieler eröffnete Svidler mit 1.c4 und die Partie mündete rasch in eine Panov-ähnlichen Variante. 8. Lb5 war dabei recht ungewöhnlich und in Meisterpartien bisher kaum erprobt. Allerdings dürfte dies nicht stärker sein als 8. Lb3, was jedoch die Gefahr birgt, nach 8… Lf5 (riskanter ist 8… g6 mit Übergang zu Grünfeld-Stellungsbildern) 9. d4 e6 10. 0-0 Le7 11. d5 ed5: 12. Sd5: Sd5: zu Massenvereinfachungen und schnellem remis (wie z. B. in Ovsejevitsch-Hoffmann, 2008) zu führen. Nach 8. Lb5 reagiert Jan mit 8… g6 sehr natürlich; dennoch wurde dieser Zug hier noch nie gespielt. Danach überwindet Schwarz ohne Probleme alle Eröffnungsschwierigkeiten und nach 18… c5 muß sich Weiß bereits Gedanken darüber machen, nicht in Nachteil zu kommen. Mit 19… Tc8 begnügt sich Schwarz mit sicherem Ausgleich; mit 19… Dc8!? hätte er bereits berechtigte Ansprüche auf etwas Vorteil geltend machen können nach der weiteren Folge 20. Sb3 a5 21. Dd4 Dc6 (Läuferpaar plus bessere Bauernstruktur). Die Schlußstellung in der Partie sollte sich nach der weitern Folge 21… a5 22. Td4 e5 23. Ta4 Lb3: 24. ab3: Tc5: 25. c4 Tb8 26. Tb1 Lh6 im Gleichgewicht befinden.

Als nächste Partie endete meine an Brett 8 mit Weiß gegen Phillip Schlosser(2555). In der Eröffnung versuchten wir uns beide gegenseitig zu überlisten, hatte ich die Petrosian-Variante im Dameninder in meiner Karriere erst einmal gespielt (2004 gegen IM Papp). Phillip war in dieser Variante aber bestens im Bilde: Das moderne 11… Dc7 ist stärker als Dc8 und 12… Sc6 ist ein neben Td8 ein Verbesserungsversuch gegenüber 12… Sd7, was dem Weißen nach 13. e5 schöne Perspektiven eröffnet hätte. Leider war mir bei der Vorbereitung auch die Partie Graf-Schlosser aus der letzten Saison entgangen, wo Schwarz nach 13. Lb2 Tad8 14. Tad1 g6 15. Tfe1 Lf6 16. De3 Sa5 = alle Probleme löste. In dieser Grünfeld-ähnlichen Stellung macht der weiße Läufer auf b2 keine sonderlich gute Figur … Deshalb war 13. d5 wohl eine gute Reaktion. Nach dem tollkühnen 13… c4 14. Lc4: Sa5 15. La2 ed5: 16. ed5: Lf6 17. Lb2 oder Lg5!? sollte Weiß über einigen Vorteil verfügen. In der Partie schien mir der weiße Raumvorteil im Zentrum das schwarze Läuferpaar mehr als zu kompensieren. Allerdings sind die schwarzen Konterchancen nicht zu unterschätzen. Statt 16… Tad8 war Tfe8 oder g6 etwas genauer, da beide Züge den Weißen nicht auf dem goldenen Tablett zum Spiel am Damenflügel mit a4-a5 einlüden. Mein Dilemma war, daß ich meinte, das urpsrünglich geplante a4-a5 würde zu keinen greifbaren Ergebnissen führen und mich daher für ein Spiel im Zentrum entschied. Leider war Schwarz auch dafür bestens gewappnet. Mit 18. a4 Tfe8 19. Db2 war daher immer noch ein Übergang zum ursprünglichen Plan möglich. Nach 19… Lg7 sollte Weiß nicht der Versuchung erlegen, mit 20. d6? Dc6 auf einen gedeckten Freibauern zu setzen. Nach 21. Te1 f6 würde der Vorteil bereits auf Schwarz übergehen. 20. Le4 war daher angemessen. Die Schlußstellung sollte etwa gleich sein nach etwa 24… fe6: 25. De6:+ Df7 26. De2. Weiß sollte jedoch in der Folge tunlichst den Damentausch vermeiden, da Dame und Springer stets eine Angriffsgefahr für den schwarzen König beinhalten.

Als nächste Partie endete die zwischen Rustem Dautov (2596) und Alex Naumann (2522) an Brett 7. Hier gelang es dem Weißen nicht, in der scharfen Wiener Variante des Damengambits Vorteil nachzuweisen. Zwar ließ sich Rustem diesmal mit 5. e4 auf die theoretische Hauptfortsetzung ein (ggü. dem verhalteneren 5. e3 vor 5 Jahren). In der theoretisch heftig diskutierten Stellung nach 16… De5 wählte er jedoch die harmlose Fortsetzung 17. De5:, wonach Schwarz schon in der einzigen bekannten Vorgängerpartie zwischen Gulko und Salov 1990 mühelos ausglich.

Kritisch ist an dieser Stellung 17. Dh6 aus der Partie Kramnik gegen Naiditsch, Dortmund 2009. Dies verbessert 17.Dh4, wonach Schwarz mit Td8! (Dg5 18. Dh3 Tg8 19. g3 gilt seit der Partie Meier-Acs aus diesem Jahr als riskant) 18. Sf3 Dc3: 19. e5 Tg8!= (Gelfand-Aronian 2009) ausgleicht. Allerdings glich auch Naiditsch die Partie mit 17… Tc8! 18. Sf3 Dc3: 19. Td4 Ke7 20. e5 Sd7 21. Dh4 Thg8 22. Kh1 b5! 23. h3 Tc4 aus.

In der Partie scheint mir Schwarz auch mit 19… b5 20. c4 bc4: 21. bc4: Ke7 22. Tb7+ Kf6 23. f4 Thc8 = alle Probleme lösen zu können. Nach (Partie) 21. Tc4+ Kb8 (Kd7) 22. Tf4: Td7 23. Td4 Tc7 sollte sich Schwarz wie in der besagten Salov-Partie ohne besondere Mühe halten. Die Partiefortsetzung vereinfacht ein wenig die schwarze Aufgabe, da Weiß nun ständig ein Auge auf seinen Bauern e5 werfen muß. Die Zugwiederholung ist daher völlig stellungsgerecht.

Kommen wir nun zur »heißen Phase« des Kampfes, in der kurz nacheinander die Partien von Markus, Jan und Rainer beendet wurden. Für die exakte Reihenfolge kann ich mich leider nicht verbürgen.

Beginnen wir mit der Partie von Markus Ragger (2561) gegen Jan Gustafsson(2622) an Brett 6, da dies sicherlich eine der heißesten Partien des Wochenendes war. Markus ließ sich nicht davon beirren, daß »Gusti« als Sekundant von Leko einer der führenden Halbslawisch-Experten ist und diskutierte die Moskauer Variante. Sollte 7… g6 dem Zweck dienen, Sd7 ein paar Züge zurückzustellen, so ließe sich dieser Plan mit 8. Dc2 unterlaufen. Aber offensichtlich hatte Markus anderes im Sinn, namentlich 12. Sd6 als Verbesserungsversuch gegenüber ein Partie Gymesi-Roiz, 2008 auszuprobieren. In den nächsten Zügen entwickelt sich die komplizierte Partie zunächst folgerichtig. Statt 22. b4 kam z. B. auch 22. Lc4, Plan Td4-f4 in Frage. Nach etwa a5 23. Td4 Sc5: 24. Se5 Se4 25. Sg4 Dh4: 26. De4: Dg5: scheint mir der Ausgang der Partie völlig offen. Möglich war auch 22. Lb1 bzw. h5 jeweils mit Kompensation.

23. Sf7: scheint mir der erste fragwürdige Zug zu sein. Nach 23. Se5 Sd5 (Sd7 Sf3=) 24. Dd4 Kg8 25. a3 hat weiße schöne Kompensation (man schaue nur auf den La8). Auch 23. Le4 Sc4 24. Dc1 gefällt mir besser als die Partie. 24… Td5 ggü. dem normalen ab6: scheint mir ehrlich gesagt ein Bluff zu sein. Eine mögliche Folge ist nun 25.ba7:!? Tfd7 26. h5 gh5: 27. a4 Dc3 28. De6: Td3: 29. Dd7:+ Td7: 30. Td7:+ Kf6 31. Td8 Lb7 32. Tb8=. Auch der Zug von Markus, 25. Te1 war noch in Ordnung. Nach Df4 sollte er jedoch mit 26. Lc2! De3: 27. Te3: Kf6 28. ba7: Ta7: 29. Lb3 fortsetzen, mit ungefährem Ausgleich. Nach 26. De2 geht dagegen der Vorteil endgültig aus Schwarz über, der sich die Butter nicht mehr vom Brot nehmen läßt.

In der nächsten Partie, Jan Werle (2563) – Arkady Naiditsch (2685), wird der Laie staunen und selbst der Fachmann wird sich wundern: Dem Weißen gelingt es im altehrwürdigen Blumenfeld-Gambit nicht, auch nur den Hauch eines Eröffnungsvorteils hearauszuholen.

Mit 14… ab5: weicht Schwarz von einer eigenen Partie gegen Feller aus dem Jahre 2007 ab, in der er bereits keine Probleme hatte. Wegen des sehr aktiven schwarzen Figurenspiels pendelt die Partie sehr lange zwischen = und =+. 23. Te1 mutet für mich etwas seltsam an, warum nicht Td2? Auch 23… Sa5 verstehe ich nicht: Weiß kann danach die Partie mittels 24. Da1 Sbc4 25. b3 Sb3: 26. Da7 Tf8 27. Lc4: Dc3: 28. Lf7:+ Tf7: 29. Da8:+ Kh7 30. e5 Sd2 ins remis abwickeln. Die erste bedeutende Ungeauigkeit begeht Schwarz jedoch erst nach 28. Df4: nach etwa Kh7, d5 oder Sc2 sollte sich die Partie noch im Gleichgewicht befinden. Nach 29. Sh4 muß Schwarz bereits mit einem schlechten Endspiel nach 29… Dg5 30. Dg5: hg5: 31. Sf5 Sc8 32. Lc4 +- Vorlieb nehmen. 29… d5 beschleunigt den Untergang: nach der weißen Dameninvasion auf c7 ist die Partie gelaufen.

Wieder einmal zeigt sich, daß Jan stets für einen lucky punch zu haben ist. :)

In der Partie Sergey Movsesian (2711) gegen Rainer Buhmann (2603) zeigte sich daß die gute alte Reti-Eröffnung doch nicht ganz ohne Gift ist.

11. Sc4 ist dabei eine in armenischen Kreisen sehr beliebte Verbesserung gegenüber dem älteren 11. Sb3 Lb6 12. a4 a5 13. Le3 Lf3: =. 12… Dc7 ist vermutlich noch ok, allerdings mutet das Konzept, sich den eigenen Laüfer auf a7 einmauern zu lassen, seltsam an. Alternativ sind 12… Sb6, b5 und a5 möglich. Die kritische Stellung dürfte nach 21. f4 entstanden sein: Hier sollte Schwarz keinesfalls das Zentrum aufgeben, sondern seine Partieanlage mittels Taktik versuchen, zu rechtfertigenmit 21… Se6!: 22. f5 (Df2 Sd4 bzw. ef4: ist sogar etwas beser für Schwarz) Sd4 23. g4 Sc2 24. Dg3 Tbd8 25. Tac1 Se3: 26. De3: Da5: 27. Tfd1 Lg4: 28. hg4: Sg4: 29. De2 Sf6 und die Lage nicht klar.

24… Sdf8 war später zu passiv, allerdings ist Weiß auch nach dem besseren Sd4 25. Ld4: cd4: 26. cb5: Tb5: 27. Sf5 Lg6 28. Sd6 bereits deutlich am Drücker.

In der Partie P. H. Nielsen (2687) gegen unsere holländische Neuerwerbung Erwin L’Ami (2606) befanden sich beide Akteure bereits vor dem ersten Zug in einer trickreichen Situation. Da sich beide als Sekundanten verdingen, war nicht mit revolutionären eröffnungstehoretischen Neuerungen zu rechnen …

Weiß wählte daher das harmlose 7.dc5: gegen die Wiener Variante der Damengamnbits. Wählt Schwarz nun das scharfe Da5 8. Lf6: gf6: 9.Lc4:! ( Dd4 Sd7 ist ok) Lc3:+ 10. bc3: Dc3:+ 11. Sd2 Ke7 12. Tc1, so erhält Weiß etwas Vorteil. Mit 8… Lc3:+ beraubt Schwarz den Weißen auch noch evt. Zusatzmöglichkeiten wie 9. Ld2 oder Td4. Nach 11… La6 sollte Schwarz bereits komplett ausgeglichen haben. 13… 0-0-0 ist jedoch ungenau, denn der König gehört hier nach e7. Besser daher 13… Td8 14. Sc4: Td1:+ 15. Kd1: Lc4: 16. Lc4: Ke7 = oder 13… Ke7!? 14. Lc4: Lb5 =+. Schwarz könnte so unmittelbar die offenen b- und d-Linien nutzen. Im 16. Zug war evtl. Sd7 etwas genauer als der vorherige Turmtausch. 22… Se5 scheint zwar zu halten, da Weiß in allen Bauernendspielen über keinerlei Einbruchsmöglichkeiten verfügt. 22… e5 23. Tb3 Sb6 oder Tb5 hätte die Partie jedoch vermutlich ein wenig abgekürzt …

In der letzten noch verbliebenen Partie versuchte Predrag Nikolic (momentan mit keiner blödsinnigen Elozahl belastet) in seiner Weißpartie gegen Alexei Shirov (2730) noch die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Leider ist Alexei auch ein recht guter Verteidiger …

Psychologisch geschickt variierte Predrag innerhalb seines g3-Aufbaus gegen Grünfeld mit 6. cd5: und 10. Sf3 (statt des dort üblichen 10.f4, was bereits 1986/87 zwischen Karpov und Kasparov ausgiebig getestet wurde). Nun sollte das sterile 10… Sc6 11. Lf4 Sf6 12. Tc1 Da5 oder 12. Ld7 eigentlich problemlos ausgleichen , aber vielleicht verfügen beide hier über geheimes Herrschaftswissen?! Shirovs 11… Db6 ist zwar interessant, aber auch riskant. Mit 13. a3!? weicht Weiß von der herkömmlichen Theorie mit 13. Tc1 b5 14. Sc5 Sc5: 15. Tc5: Ld7 bzw. 14. Sc3 Lb7 15. Dd3 b4 16. Sb5, jeweils mit etwas Vorteil ab. Schwarz kann nun nur mit 14… Db6 15.e4!? Sd4: 16. ed5: e5 17. Sd4: ed4: 18. Se4 Se5 19. Le5: Le5: 20. Tc1 den Verlust des b-Bauern abwenden; allerdings hat Weiß auch hier eine unangenhme Initiative.

Nach 18. ab4: sollte Weiß klar im Vorteil sein, allerdings muß man Shirov zugestehen, daß er sich von hier an unglaublich zäh verteidigt.

Vielleicht sollte Weiß mit 20. e4 die Möglichkeit ergreifen, die Stellung zu öffnen. Nach de4: 21. Se5 Se5: 22. de5: Tab8 23. Se4: wird selbst ein Verteidigunskünstler einen schweren stand haben. Später kommt auch 22. e4 Kg7 23. ed5: ed5: 24. Se5 Sb6 25. Ta3 +- sehr in Frage.

Im weiteren Verlauf wird die Partie in das ominöse Endspiel Turm + zwei Springer gegen zwei Türme abgewickelt. Nach der Zeitkontrolle steht Weiß vor der schwierigen Frage, ob er die Partie mit 41. Lg6: Sb3: 42. Sb3: hg6: 43. Sac5 Td8 44. h4 und Angriffschancen am Königsflügel verschärfen soll. Funktioniert das Konzept, ist man ein Held, anderfalls kann man leicht als Idiot dastehen …

Im 45. Zug kann Schwarz eventuell aktiver mit Tc7 (mit der Idee 46. Sd3 Tc3) spielen, allerdings behält Weiß mit 46. Sa4 weiter alles unter Kontrolle. Leider bleiben die technischen Schwierigkeiten nach dem 55. Zug enorm. Den Kibitzen erschien es als aussichtsreichster Plan, Die schwarze Stellung nach geeigneter Vorbereitung mit dem Hebel f4-f5 zu attackieren. Dazu sollte der weiße Turm auf der ersten Reihe, der König auf h3 und die Springer je nach schwarzer Reaktion auf geeigenten Feldern postiert werden. Ob dieser Plan realisierbar und erfolgversprechend ist, kann jedoch nur eine ausführliche Analyse ergeben, die den Beitrag dieses Artikels sprengen würde. Der Tenor ging jedoch dahin, daß die schwarzen Verteidigungschancen höher sind als die weißen Gewinnchancen. Nach über 7 Stunden schließlich remis zum Endstand von 3½:4½.

Außer Spesen nichts gewesen!

Michael Hoffmann